Pressemitteilung

Dr. Ana Prietz vom Beckenboden- und Kontinenz-Zentrum am Hospital

Inkontinenz ist eine weit verbreitete Problematik, die im Grunde jeden von uns treffen kann – sowohl in Bezug auf die Blase als auch auf den Darm. Was das Problem oft verschlimmert: Inkontinenz ist bei vielen Menschen noch immer ein Tabuthema.

Der Weg zum Arzt wird aufgeschoben, obwohl die Lebensqualität der Betroffenen oft stark eingeschränkt ist. Warum dies genau der falsche Weg ist, erklärt uns Dr. Ana Prietz im Interview. Die Fachärztin für Frauenheilkunde arbeitet im Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) des Hospitals zum Heiligen Geist in Fritzlar. Innerhalb des Beckenboden- und Kontinenz-Zentrums koordiniert sie verschiedene Fachabteilungen.

Hallo Frau Dr. Prietz. Stellen Sie sich und das Beckenboden-Zentrum doch bitte einmal kurz vor.

Ich bin die Koordinatorin des Beckenboden-Zentrums. Zu unserem Zentrum gehören drei Fachdisziplinen: die Chirurgie, die Urologie und die Gynäkologie. Je nach Indikation können dann noch weitere Fachärzte und Fachpersonal hinzugeholt werden, zum Beispiel Radiologen oder Neurologen. Unser Vorteil ist, dass wir die Chirurgie und die Gynäkologie direkt im Haus haben, die Urologie zudem im Ärztehaus, mit dem wir ganz eng zusammenarbeiten. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in unserem Fachbereich sehr wichtig und daher ist es ideal, dass wir unseren Patienten und Patientinnen im Grunde alles unter einem Dach bieten können.

Eines der wichtigsten Felder des Beckenboden-Zentrums ist die Behandlung von Inkontinenz.

Genau – sowohl in Bezug auf die Blase als auch auf den Darm, also Stuhlinkontinenz. Das umfasst neben dem ungewollten Verlust, der Inkontinenz, auch Entleerungsstörungen.

Wie sehr schränken solche Beschwerden Ihrer Meinung nach die Lebensqualität der Patienten und Patientinnen ein?

Das kommt darauf an, wie ausgeprägt die Problematik ist. Und die generelle persönliche Einstellung spielt natürlich eine Rolle. Auf der einen Seite gibt es jüngere Frauen, die zum Beispiel beim Tennisspielen mal einen Tropfen Urin verlieren. Das ist zwar nur eine Inkontinenz ersten Grades, für die Frauen persönlich aber eine Katastrophe. Auf der anderen Seite gibt es ältere Frauen, die durchgehend eine Windel tragen müssen, sich daran aber nicht sonderlich stören – und auch keine Therapie wollen. Dabei muss man aber sagen: Solange diese Frauen noch genug trinken, ist es auch gesundheitlich noch nicht so problematisch.

Welcher genaue Zusammenhang besteht denn zwischen Inkontinenz und Wasseraufnahme? Und wo liegen die Risiken?

Immer wieder berichten mir Patientinnen mit Harninkontinenz, dass sie bewusst weniger trinken, um mit der Problematik besser umgehen zu können. Das ist zwar vielleicht kurzfristig eine Lösung, langfristig kann das aber der Auslöser diverser Folgeerkrankungen sein.

Welche Erkrankungen können das sein?

Die möglichen Erkrankungen sind vielfältig. Weniger zu trinken heißt zum Beispiel, dass das Gehirn schlechter durchblutet wird, was zu Verwirrtheit führen kann. Zudem kann es zu Kreislaufproblemen kommen, was wiederum Stürze mit sich bringen kann.
Ein weiteres großes Problem ist eine Verstopfung durch geringe Wasserzunahme, da der Stuhl fester wird. Die Betroffenen pressen dann beim Stuhlgang. Im Laufe der Zeit kann der Darm durch den After vorfallen. Bei Frauen können die Gebärmutter, die Blase und der Enddarm durch die Scheide vorfallen. Diese Senkung der Beckenorgane kann gravierende Fehlfunktionen von Blase und Darm zur Folge haben.

Und was passiert mit unserem Urin, wenn wir zu wenig trinken?

Der Urin wird konzentrierter und reizt die Blase, der Harndrang wird dadurch immer häufiger. Mit dem Urin werden zudem weniger Gifte ausgeschieden. Das Ausleiten von Giften und Schadstoffen aus dem eigenen Stoffwechsel lässt uns jünger aussehen und fühlen – und ist ein entscheidender Beitrag in Bezug auf die Prävention zahlreicher Krankheiten.

Anstatt weniger zu trinken, sollte man also lieber direkt den Weg zum Spezialisten suchen?

Absolut. Es ist ein ganz entscheidender Faktor, sich frühzeitig in spezialisierte Hände zu begeben. Fängt man früh genug mit einer Behandlung an, gibt es sehr viele Maßnahmen, die man anwenden kann. Lässt man eine Inkontinenz dagegen unbehandelt, kann sie schnell schlimmer werden.

Aber ist es nicht besonders bei einer Inkontinenz oft der Fall, dass die Menschen aus Schamgefühl den Arztbesuch aufschieben?

Ja, es gibt leider noch viele Menschen, die aufgrund ihrer Hemmungen nicht oder erst spät zum Arzt gehen und auch generell mehr Zeit zu Hause verbringen. Diese Isolation – und somit fehlende soziale Kontakte – wirken sich auch negativ auf die geistige Fitness im Alter aus. Aber man muss auch sagen: Inkontinenz ist zwar oft noch ein Tabuthema, allerdings nicht mehr so sehr, wie es früher einmal war. Heute sprechen Patientinnen mit mir offener als zu Beginn meiner Tätigkeit. Denn sie merken, dass die Behandlung solcher Probleme mein tägliches Brot ist. Ihnen muss nichts peinlich sein – und sie sind mit ihren Problemen nicht alleine. Das merken die Patientinnen in meinen Sprechstunden zum Glück meist sehr schnell, sodass ein zielführender und offener Austausch stattfinden kann.

Gibt es Möglichkeiten, der Inkontinenz frühzeitig entgegenzuwirken?

Ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Risiko zu senken. Neben dem bereits erwähnten ausreichenden Trinken zählt dazu etwa die Aufnahme von Vitamin D, das die Knochen und die Muskulatur – also auch die Beckenbodenmuskulatur – stärkt. Regelmäßiges Beckenbodentraining ist zudem ebenso sinnvoll wie regelmäßiger Sport, um Übergewicht entgegenzuwirken. Besonders ratsam sind dabei beckenschonende Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder Nordic Walking.

Am Montag beginnt die jährliche bundesweite Welt-Kontinenz-Woche. Wie beteiligt sich das Hospital zum Heiligen Geist?

Ich biete allen Interessierten am kommenden Mittwoch eine telefonische Sprechstunde an, in der sich jeder über das Thema Inkontinenz informieren und mit mir ein unverbindliches Gespräch führen kann.

Zur Person:
Dr. Ana Prietz ist 60 Jahre alt und lebt in Fuldabrück. Sie ist seit 26 Jahren Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und zudem zertifizierte Uro-Gynäkologin. Für das Hospital zum Heiligen Geist in Fritzlar – beziehungsweise für das angeschlossene MVZ – ist sie nun seit Anfang 2022 tätig. Ihrer Freizeit verbringt sie gerne mit Schwimmen und Radfahren.

Welt-Kontinenz-Woche:
Aufklären, Sensibilisieren und Mut machen: Inkontinenz ist eine Volkskrankheit, dennoch leiden die Betroffenen häufig im Verborgenen. Aufklären und Mut machen ist daher das oberste Ziel der jährlichen bundesweiten Welt-Kontinenz-Woche – sie ist die wichtigste Veranstaltungsreihe in Deutschland rund um die Behandlung und Prävention von Inkontinenz. In dieser Zeit finden eine Vielzahl von kostenfreien Vorträgen und Fragerunden statt. kontinenz-gesellschaft.de

Telefon-Sprechstunde zum Thema Inkontinenz: 
Am kommenden Mittwoch, 21. Juni 2023, veranstaltet das Hospital zum Heiligen Geist von 8 bis 12 Uhr eine telefonische Sprechstunde rund um das Thema Inkontinenz. Dr. Prietz steht Interessierten zur Verfügung und klärt über das Thema auf. Tel. 0 56 22 / 997 313

Fotos: André Elsebach

Artikel aus der HNA vom 17.04.23