Historie

Kurzfassung aus: "Eine Stadt im Spiegel der Heilkunst", Kassel 1998

Die Geschichte im Blick: Verortungen in der Stadt

Europaweit können nur wenige Krankenhäuser auf eine über 860-jährige Tradition verweisen, die noch heute mit all ihrer Vielfalt in der Stadt verankert ist. Wer von Süden auf Fritzlar schaut, überblickt die ganze Geschichte: Unterhalb vom Dom, wo heute das Ursulinenkloster steht, entstand 1147 das Marienhospital. Im Tal beim Mühlengraben wurde 1308 der erste Bau des Hospitals zum Heiligen Geist errichtet, das 1530 die Güter des Marienhospitals übernahm. Wieder bergauf, ist östlich vom Dom die Minoritenkirche zu sehen, bei der das heutige Krankenhaus steht. Zwischen diesen drei Orten entfaltet sich das dichte Netz der Fritzlarer Hospitalgeschichte. Als der Abt Bruno von Weißenstein 1147 das Marienhospital stiftete, erneuerte er den klösterlichen Spitalsgedanken, auf dem das mittelalterliche Gesundheitswesen beruhte. Der heilige Benedikt von Nursia (480-554) hatte im italienischen Monte Cassino eine Ordensgemeinschaft gebildet, die rund 500 Jahre die organisierte Gesundheitspflege prägte. Schon mit der Stadtgründung floss diese Hospitalgeschichte in die Fritzlarer Geschichte ein: Der heilige Bonifatius gründete im achten Jahrhundert nicht nur die Stadt, sondern auch ein Benediktinerkloster, in dem wahrscheinlich eine Krankenstube eingerichtet war. Nachdem das Kloster 1005 in ein Chorherrenstift umgewandelt war, übernahmen wohl Augustinerinnen die pflegerischen Dienste. Diese Verantwortung bestätigte der Abt von Weißenstein 1147 mit der Gründung des Marienhospitals, das nachweislich einem Augustinerinnenkloster zugeordnet war. 

"Bussen den Muren" - Vor den Mauern der Stadt

Der Abt siedelte das Marienhospital vor den damaligen Stadtmauern am Südhang unterhalb des Domes an. Dort sprudeln zahlreiche Quellen, die die Versorgung mit sauberem Wasser sicherten. Während die Quellen heute das Schwimmbad der Ursulinenschule speisen, lieferten sie im Mittelalter nicht nur Frischwasser für das Hospital, sondern auch für ein öffentliches Badehaus - wie der nahe gelegene Turm "am Bad" bezeugt. Der Standort vor den Mauern der Stadt bot sich für das Hospital außerdem an, weil er nah an einer Einfallstraße lag und somit durchreisende Gesellen oder Pilger nicht das Stadtgebiet betreten mussten, um Obdach zu finden. Andererseits konnte mit dem Standort bei drohenden Seuchen sichergestellt werden, dass die Kranken im Hospital von der noch gesunden Stadtbevölkerung getrennt blieben. Diese stadtplanerische Bedachtsamkeit bestimmte auch den Standort für das erste Hospital zum Heiligen Geist bei der gleichnamigen Kapelle am Mühlengraben.

Die Heilig-Geist-Kapelle

Das Hospital zum Heiligen Geist wurde 1308 von der Stadt gegründet, vom Mainzer Erzbischof mit einem Ablass und von Stiftern mit Grundbesitz ausgestattet. Der noch heute bewirtschaftete Alte Hof bildete bis ins 19. Jahrhundert neben den Stiftungen und Schenkungen die ökonomische Grundlage des Hospitalwesens. Die Pfründner verdienten sich, soweit sie dazu in der Lage waren, mit der landwirtschaftlichen Arbeit die Kost und Logis im Hospital. Diese Praxis hat sich bis heute in der Verfassung der Hospitalstiftung tradiert, wird mittlerweile allerdings "infolge der Wandlung in der Sozialen Hilfe ( ... ) in zeitgemäßer Weise durch individuelle Hilfe für Bedürftige, so die Betreuung durchreisender Obdachloser," erfüllt. Der letzte Pfründner verließ das Hospital Anfang der 1980er Jahre - etwa zur gleichen Zeit, als der Alte Hof verpachtet wurde, der bis dahin fast sämtliche Lebensmittel lieferte, die das Krankenhaus brauchte. Im Zentrum des mittelalterlichen Hospitalkomplexes am Mühlengraben stand die gleichnamige Kapelle. Obwohl damals die Stadt als Träger fungierte, blieb die religiöse Bindung nicht nur durch die dort tätigen Priester, sondern auch in der Namensgebung erhalten. Die schon im 12. Jahrhundert verbreitete, z.B. beim Hospital "Santo Spirito" in Rom gewählte Widmung an den Heiligen Geist verweist auf dessen Mittlerschaft zwischen Mensch und Gott - wie etwa auch der allegorische Zusammenhang zwischen Heilung und Heiland auf die religiöse Vermittlung von Krankheit und Genesung hindeutet. 

Ausdruck fand die religiöse Bindung auch in der Architektur des Hospitals am Mühlengraben. An das heute noch vorhandene Kirchenschiff der Kapelle schloss sich ursprünglich direkt der Saal für die pflegebedürftigen Hospitalbewohner an. Während die übrigen Bewohner - Arme, Obdachlose, Pfründner, Pilger usw. - in den Nebengebäuden untergebracht waren, sollten auch die bettlägerigen, alten oder kranken Bewohner die Möglichkeit haben, am Gottesdienst teilzunehmen.

Die Hospitalpflege

Die direkte Verbindung zwischen Kirchenschiff und Bettensaal ist typisch für ein mittelalterliches Hospital. Sie begründet sich in der religiösen Auffassung, dass Erlösung und damit in gewisser Weise auch Heilung durch "Christus Medicus" bewirkt wird. Krankheit wurde zwar auch in der mittelalterlichen Heilkunde auf eine stoffliche Grundlage, genauer auf das Missverhältnis der Körpersäfte und das Versagen eines Organs zurückgeführt. Aber dieser materiellen Begründung stand die religiöse Erklärung zur Seite, dass Erlösung - "von dem Bösen", wie im Vaterunser formuliert ist - allein durch Gottes Gnade gegeben werden kann. In ähnlicher Weise verspricht nur die Gnade Gottes Erlösung, wenn der Tod und damit auch Gottes Gericht bevorsteht. Krankheit, Altern, Sterben und Tod sind auf dieser Ebene nicht getrennt voneinander behandelt worden, sondern bildeten in einem mittelalterlichen Hospital eine gleichermaßen räumliche wie ideelle Einheit. Kranke und Alte befanden sich im selben Saal, in dem auch die medizinischen Behandlungen inklusive der Operationen durchgeführt, den Sterbenden das Sakrament gespendet, den Toten die Messe gelesen und die Körper schließlich auch in ein Leichentuch genäht wurden.

Krankheitsvorsorge im Mittelalter

Unweit der Heilig-Geist-Kapelle liegt die Siechenrasenkapelle. Sie weist auf ein Leprosenhaus, quasi eine mittelalterliche Quarantänestation hin. Die Leprakranken, die dem Tod geweihten Siechen wurden abseits des eigentlichen Hospitals untergebracht - daher auch die Bezeichnung Aussatz für Lepra. Ihnen war das Betreten des ummauerten Stadtgebietes nur zu wenigen, fest bestimmten Zeiten erlaubt. Sie mussten eine besondere Kleidung tragen, die den Körper so weit wie möglich bedeckte, ein Wasserfässchen, um die Quellen in der Stadt nicht zu verseuchen, und etwa eine Rassel, um Näherkommende zu warnen. Leprakranke durften zudem stets nur gegen die Windrichtung sprechen, um zu verhindern, daß die Gesunden vom Atem der Leprösen infiziert wurden. Obwohl erst die moderne Wissenschaftsmedizin die Übertragung per Tröpfcheninfektion nachgewiesen hat, kannte die mittelalterliche, auf Erfahrung beruhende Heilkunde bereits entsprechende Präventivmaßnahmen - zumal die Vorsorge gegen Erkrankung bei der mittelalterlichen Medizin grundsätzlich im Mittelpunkt stand. Weniger aus fehlender Sachkenntnis heraus als vielmehr aufgrund der spezifischen medizinischen Auffassung wurde im Mittelalter - wie auch schon bei den antiken Vorbildern - in allen Lebensbereichen "mâze" gelehrt. Schlafen, Essen und Trinken, Ruhe und Bewegung, Arbeit und Emotionen sollten maßvoll gehandhabt werden, um Krankheiten zu verhüten - ein Konzept, das besonders in der internistischen Medizin auch heute grundlegend ist.