Ein Moment der Unachtsamkeit, ein falscher Tritt – und plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Besonders im höheren Alter können Stürze schwerwiegende Folgen haben: Knochenbrüche, lange Krankenhausaufenthalte, der Verlust der Selbstständigkeit. Wie kann moderne Medizin helfen, diesen Kreislauf zu durchbrechen?
Beim „Tag der offenen Klinik“ im Hospital zum Heiligen Geist in Fritzlar, am Samstag, 15. März, sprechen Dr. Ali Noufal, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, und Dr. Roman Strehl, Leitender Arzt der Notaufnahme, über die besonderen Herausforderungen der Alterstraumatologie. Im Vorfeld haben wir mit ihnen darüber gesprochen, wie ältere Patientinnen und Patienten bestmöglich versorgt werden können.
Alterstraumatologie – warum ist dieses Thema so wichtig in der modernen Medizin?
Noufal: Wenn man sich die Entwicklung der Lebenserwartung ansieht, wird einem schnell bewusst, wie wichtig Alterstraumatologie heute ist. Vor 200 Jahren lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland noch bei etwa 35 Jahren – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Heute liegt sie bei etwa 84 Jahren für Männer und 88 Jahren für Frauen. Die moderne Medizin hat eine enorme Rolle dabei gespielt, die Lebenserwartung und die Lebensqualität zu steigern. Früher bedeuteten schwere Verletzungen im Alter wie eine Hüftfraktur oft ein Todesurteil, weil die Betroffenen durch Immobilität an Lungenentzündung oder Thrombosen starben. Heute hingegen können wir solche Verletzungen erfolgreich behandeln und eine schnelle Mobilisation ermöglichen, was die Prognose der Patienten enorm verbessert.
Welche typischen Verletzungen treten bei älteren Menschen auf?
Noufal: Die häufigste Verletzung im höheren Alter sind Hüftfrakturen. Das liegt vor allem an Osteoporose, einer Abnahme der Knochenqualität, und an der eingeschränkten Koordination im Alter. Darüber hinaus sind Oberarmfrakturen und Wirbelfrakturen ebenfalls sehr häufig. Besonders gefährlich sind Wirbelsäulenverletzungen, die oft unterschätzt werden.
Gibt es Unterschiede in der Behandlung von Knochenbrüchen bei älteren und jüngeren Patienten?
Noufal: Ja, definitiv. Bei jüngeren Menschen versuchen wir, das Gelenk zu erhalten und die Knochenstruktur so gut wie möglich zu reparieren. Bei älteren Patienten ist die Durchblutung des Oberschenkelkopfes häufig schlechter, was die Heilung erschwert. Deshalb setzen wir hier oft auf die Implantation einer Hüftprothese, die den Patienten eine schnelle Mobilisation ermöglicht. Bei Patienten, die in einem schlechteren Allgemeinzustand sind, kommen auch sogenannte halbe Prothesen zum Einsatz, die weniger invasiv sind und eine schnelle Belastung des Beins ermöglichen.
Was raten Sie den Menschen, um Stürzen im Alter vorzubeugen?
Strehl: Ein wichtiger Punkt ist die Verbesserung der Knochenqualität, vor allem durch regelmäßige Bewegung und Muskelaufbau. Osteoporose sollte frühzeitig diagnostiziert werden, deshalb raten wir, regelmäßig die Knochendichte messen zu lassen. Zudem spielt auch das Umfeld eine große Rolle. Häufig stolpern ältere Menschen über Teppiche oder andere Stolperfallen zu Hause. Manchmal passiert es auch, wenn Menschen nachts aufstehen und sich nicht gut orientieren können. In solchen Fällen können kleine Anpassungen im häuslichen Umfeld helfen, das Sturzrisiko zu minimieren.
Wie funktioniert die Behandlung nach einem Unfall, der in der Notaufnahme aufgenommen wird?
Strehl: Die Patienten kommen oft durch den Rettungsdienst in die Notaufnahme. Dort erfolgt eine schnelle Triage, bei der wir die Dringlichkeit des Falls einschätzen. Bei Hüftfrakturen beispielsweise ist es wichtig, dass der Patient innerhalb von 24 Stunden operiert wird, um die Heilung zu fördern und Komplikationen zu vermeiden. Nach der Diagnosestellung geht es schnell weiter: Wenn eine Operation notwendig ist, wird dies in der Regel innerhalb eines Tages organisiert. Ziel ist es immer, die Patienten so schnell wie möglich wieder mobil zu machen, denn Immobilität begünstigt weitere
gesundheitliche Probleme wie Lungenentzündungen oder Thrombosen.
Gibt es neue Entwicklungen in der Behandlungstechnik?
Noufal: Ja, wir setzen zunehmend auf minimalinvasive Verfahren. Dadurch können wir die Patienten schneller operieren und die Muskulatur sowie die Nerven schonen. Bei der Implantation von Prothesen beispielsweise versuchen wir, so wenig Gewebe wie möglich zu verletzen, was die Heilung und das allgemeine Wohlbefinden der Patienten fördert.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Alterstraumatologie?
Strehl: Die wichtigste Herausforderung bleibt die steigende Zahl älterer Menschen. In den nächsten Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung weiter altern, und wir müssen sicherstellen, dass wir genügend Ressourcen haben, um diese Patienten optimal zu versorgen. Ich denke, es muss mehr in Prävention investiert werden, um die Häufigkeit von Stürzen zu verringern.
Was ist das wichtigste Ziel in der Behandlung älterer Patienten mit Traumata?
Noufal: Unser Ziel ist immer, die Patienten so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu bekommen. Das bedeutet, wir müssen jede Behandlung individuell an den Patienten anpassen und gleichzeitig darauf achten, dass die Frakturen richtig versorgt werden. Bei der Behandlung älterer Menschen ist schnelle Mobilisation das A und O.
Was kann jeder einzelne tun, um sich vor Stürzen und den damit verbundenen Verletzungen zu schützen?
Strehl: Der wichtigste Punkt ist, auf die eigene Fitness zu achten. Durch regelmäßige Bewegung und den Aufbau von Muskulatur kann man das Risiko von Stürzen erheblich senken. Ebenso wichtig ist es, das häusliche Umfeld sicher zu gestalten – Teppiche zu sichern oder Stufen zu vermeiden. Und
natürlich sollte jeder, der merkt, dass die Knochenqualität nachlässt, regelmäßig die Knochendichte prüfen lassen, um frühzeitig gegen Osteoporose vorzugehen.
Text: HNA-Artikel vom 13.03.2025 von Maja Yüce
Foto: Maja Yüce